Sind Freiwilligendienste nach dem Abitur sinnvoll?

Habe mir mal in paar Gedanken dazu gemacht. Hier sind sie:

Viele junge Menschen möchten nach Abschluss ihrer Schullaufbahn nicht sofort mit Lehre oder Studium beginnen. Sie möchten mal was anderen machen, Erfahrungen sammeln, eine neue Sprache lernen und nicht selten auch: helfen. Einige von ihnen entschließen sich für einen verlängerten Urlaub in einem fernen Land, andere ziehen die beliebte Variante „Work and Travel“ vor, mit der man sich im besten Fall ein ganzes Jahr Reisen finanzieren kann.

Nicht wenige von ihnen entscheiden sich auch für ein sogenanntes FSJ, ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland. Neben dem Abenteuer, das ein Jahr weit ab von der Familie in einem fremden Land verspricht, locken auch noch andere Faktoren zu der Entscheidung – zumindest meiner Erfahrung nach.

Als ich mich im Winter 2015/16 auf eine Stelle in Matema bewarb, gab ich in meinem Bewerbungsschreiben etwa die Motivationen an, die ich schon vorhin erwähnt habe, also Neue Erfahrungen sammeln, im speziellen mit der Arbeit in einem Krankenhaus, eine neue Sprache lernen, aber auch: Meinen Beitrag leisten. Ich war der Überzeugung, dass ich durch meine Anwesenheit in dem kleinen afrikanischen Dorf etwas verändern würde. Auch, als ich die Stelle tatsächlich bekam und wir im den darauf folgenden Seminaren darauf hingewiesen wurden, dass es der Organisation, die uns schickte, vor allem um den Austausch mit der anderen Kultur ging, nicht aber darum, Entwicklungshelfer nach zum Beispiel Afrika zu schicken, änderte sich meine Überzeugung nicht, dass mein Aufenthalt in Matema etwas Gutes bewirken würde.

Nun, etwa zweieinhalb Jahre nach meiner Ankunft in Matema ziehe ich Bilanz:

Auf der einen Seite haben sich meine Erwartungen mehr als erfüllt: das Jahr in Tanzania hat mir unglaublich viele neue Erfahrungen gebracht – unter anderem die Gewissheit, dass ein Medizinstudium das richtige für mich ist. Es hat es mir ermöglicht, eine völlig neue Sprache zu lernen. Ich durfte viele neue Menschen kennenlernen und Freundschaften schließen, die zum Teil bis heute noch anhalten. Wenn man mich fragen würde, ob ich mein Auslandsjahr als Freiwillige genossen habe, könnte ich nur aus vollem Herzen bejahen.

ABER: War es auch sinnvoll?

Die Frage nach der Funktion von Freiwilligendiensten, seien sie nun in Afrika oder sonst wo auf der Welt, lässt sich nicht so einfach beantworten wie es vielleicht zunächst scheint.

Ganz abgesehen davon, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ein solches Freiwilligenjahr in einem fremden Land ausreichend gut organisiert und betreut ist – manch ein ehemaliger FSJler wird sich an sein Auslandsjahr vielleicht weniger gerne erinnern als ich – und unabhängig von den Organisationen, die Abiturienten für eine exorbitante Summe Geld die Möglichkeit bieten, für nur einen Monat in einer Schule oder Kindergarten in einem Land des globalen Südens zu arbeiten – mehr Helfertourismus als irgendetwas sonst – möchte ich hier vielmehr die Frage stellen, ob es eine gute Idee ist, Abiturientinnen und Abiturienten in der Funktion von Kindergärtnern, Lehrern, Computerexperten oder, wie in meinem Fall, Krankenpfleger in andere Länder zu schicken.

Eine der Hauptannahmen, mit der sich meiner Erfahrung nach junge Menschen auf ein FSJ im Ausland bewerben, ist der Wunsch, helfen zu können. Aber wie konnte beispielsweise ich, ein damals 18 jährige Mädchen auf die Idee kommen, dass ich, ohne je irgendeine Ausbildung im medizinischen Sektor gemacht zu haben, die Situation in einem Krankenhaus in Tanzania verbessern könnte? Als ich dort ankam, hätte man dort jeden anderen 18jährigen aus dem Dorf besser im Krankenhaus gebrauchen können – immerhin hätte er die Landessprache bereits beherrscht und hätte somit nicht nur mit großen Augen in der Ecke stehen müssen.

Warum schickt man also Menschen ohne Ausbildung in andere Länder, um einen Beruf auszuüben, für den sie nicht im mindesten qualifiziert sind?

Natürlich habe ich im Laufe des Jahres viel dazugelernt und konnte am Ende schon die eine oder andere Aufgabe übernehmen, aber was habe ich danach gemacht? Ich bin wieder nach Deutschland zurück gegangen, um hier zu studieren. Die ganze Arbeit, die meine Freunde und Kollegen also in mich investiert haben, um mich zuerst ihre Sprache zu lehren und anschließend an die Abläufe in einem Krankenhaus zu gewöhnen, waren damit hinfällig. Jedes Jahr tragen sie ein Stück zur Ausbildung und Kenntnis eines jungen Menschen bei, den sie dann wieder aufgeben müssen. Die Freiwilligen kehren zurück in ihre Heimat und führen so den Bewohnern ihrer Einsatzstellen vor Augen, dass sie nicht die Mittel haben, ihnen dorthin folgen zu können. Was für eine Ungerechtigkeit!

Fairerweise muss man zugeben, dass diese auch von einigen Organisationen bereits erkannt worden ist. Zunehmend werden also auch sogenannte Süd-Nord Freiwilligendienste eingerichtet, bei denen auch junge Menschen aus beispielsweise Tanzania, aber auch aus allen anderen Ländern, in die deutsche Freiwillige gehen, nach Deutschland kommen und hier als Freiwillige tätig sein können.

Es gibt also zwei Hauptpunkte, die mich an der Sinnhaftigkeit von Freiwilligendiensten zweifeln lassen: Zum einen wird schon vor der eigentlichen Abreise ein falsches Bild von dem vermittelt, was ein solches Jahr als Freiwilliger bewirken soll. Und das kommt nicht von ungefähr: wenn man auf die Website des Bundesministerium des Äußeren geht, um sich dort über den wohl allerseits bekannten Freiwilligendienst „weltwärts“ zu informieren, wird da mit dem „entwicklungspolitischen Freiwilligendienst“ geworben und man wird dazu aufgefordert, seinen Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten. Meiner Ansicht nach schürt das genau die Vorstellungen motivierter Jugendlicher, die sicherlich das Herz auf dem rechten Fleck haben und nur helfen wollen, darüber aber vergessen, dass sie eben keine Entwicklungshelfer sind und das es nicht primär darum geht, seinen Teil zu leisten – denn das kann man übrigens genauso gut in Deutschland wie überall sonst auf der Welt – sondern, etwas für sich zu tun. Also Erfahrungen zu sammeln und die eigenen Grezen zu überwinden.

Das schließt dann auch gleich sehr gut an meinen zweiten großen Kritikpunkt an: Ein Freiwilligendienst kann unter Umständen gut für den Freiwilligen selbst sein, aber wo ist der Nutzen für die Menschen, die ihn aufnehmen, sich das Jahr um ihn kümmern und sich an ihn gewöhnen, nur um ihn danach wieder ziehen lassen zu müssen? Besteht nicht statt dem Bereitstellen von Hilfe viel mehr die Gefahr, dass durch die Freiwilligen der Eindruck von weit entfernten Menschen entsteht, die für eine kurze Zeit verweilen, sich vielleicht sogar freundlich zeigen, aber nie wirklich dazugehörig. Können sie nicht den Eindruck vermitteln, nur zu ihrem persönlichen Vergnügen oder zumindest Vorteil gekommen zu sein, um nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit wieder zu verschwinden und nur in seltenen Fällen noch einmal von sich hören zu lassen?

Ja, das könnte passieren. Ich glaube, dass dies in einigen Fällen sogar sicher schon einmal der Fall war. Aber genau hier liegt auch die einzige Chance, wie man aus meiner Sicht in seinem Freiwilligendienst tatsächlich etwas gutes und nützliches bewirken kann: Natürlich sind Menschen untereinander unterschiedlich und gerade ein fremder Mensch in einer anderen Kultur macht diesen Umstand sehr deutlich. Die Kunst liegt nun darin, nicht das eine besser und das andere schlechter zu machen und sich dadurch voneinander abzugrenzen, sondern sich stattdessen diese Unterschiede vor Augen zu führen und darüber miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein Freiwilliger im Ausland sollten sich auf keinen Fall als eine Art Missionar sehen, der gekommen ist, um all die Unwissenden zu bekehren und ihnen ein besseres Leben zu bringen. Vielmehr muss der sich als Gast begreifen, der dazu eingeladen wurde, für ein Jahr die andere Kultur verstehen zu lernen. Die Arbeit, die er während dieser Zeit ausübt, dient dabei nicht als entwicklungspolitische Hilfe oder ähnliches, sondern vielmehr als eine Art Kontaktbörse, bei der er oder sie Menschen, aber auch kulturtypische Gepflogenheiten kennen lernen kann.

Das wichtige hierbei ist nun aber, dass er bei all dieser Offenheit, die für ein solches Projekt gewiss von Nöten ist, trotzdem nicht all seine Überzeugungen und Gewohnheiten ablegt, sondern sich wie gesagt, zunächst über bestehende Unterschiede klar zu werden.

Ich habe in meinem Freiwilligendienst viele Unterschiede zwischen dem Leben in Matema und dem in Berlin feststellen dürfen und bin immer ich regelrecht begeistert und überzeugt von einigem, was ich dort gelernt habe. Das wichtigste aber ist die Erkenntnis, dass es noch ganz andere Welten mit ganz anderen Ansichten als die meine gibt, von denen mir viele gefallen, andere ganz und gar nicht und daneben gibt es noch sehr viele, die ich nicht nicht verstanden habe. Das ist das, was ich für mich aus einem Freiwilligendienst mitnehmen kann. Und diese Erkenntnis sollte ich als Freiwilliger mit meinem Mitmenschen an der Einsatzstelle kommunizieren und ihnen mitteilen, was mich erstaunt, beeindruckt und auch, womit ich nicht einverstanden bin.

Ein Beispiel, dass ich an dieser Stelle immer wieder gerne bringe, ist die Sprachliche Unterscheidung im Kiswahili zwischen der Heirat von Mann und Frau. Während von einem Mann berichtet wird : Ameoa – Er hat geheiratet, wird von einer Frau gesagt : Ameolewa – sie ist verheiratet worden. Die Frau darf sich also ihren Lebenspartner nicht aktiv aussuchen, sondern muss sich – zumindest sprachlich – dem Mann unterwerfen, der sie sich aussucht. Dass es heutzutage in Tanzania schon längst nicht mehr so Praxis ist, spielt keine Rolle – sprachlich ist die tansanische Frau auch heute nich nicht in der Lage, zu heiraten. Somit kam während des Jahres, das ich in Matema verbrachte, immer wieder Gelächter auf, weil ich diese Formulierung ständig in Frage stellte.

Viel mehr als Gelächter habe ich übriges damit nicht erreicht, aber genau darum geht es ja: Auf Unterschiede aufmerksam machen, aber nicht notwendigerweise gleich alles verändern wollen. Erzählen, wie die eigene Meinung ist, ohne sie den anderen gleich aufzudrängen. Im Optimalfall führt dass zu dem besten, was ein Freiwilligendienst im Ausland zustande bringen kann: einem Dialog zwischen verschiedenen Kulturen, der es beiden Seiten ermöglicht, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. Zu wissen, dass es nich anderes gibt als die eigene Welt.

Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich, dass mir das an manchen Stellen in meinem Jahr in Matema gelungen ist. Die Menschen dort wissen jetzt, dass die Frauen in Deutschland ihre Männer vom Fleck weg heiraten, wenn ihnen danach ist, dass sie es sich nicht vorstellen können, jeden auf der Straße zu grüßen und man öfter mal lieber für sich bleibt und dass die meisten ganz anders tanzen als sie – nur mal um ein paar Beispiele zu nennen. Von ein paar Menschen habe ich die Hoffnung, dass sie noch ab und zu daran denken und von einem weiß ich ganz sicher, dass der Kulturaustausch funktioniert hat: nämlich von mir.

Fassen wir also zusammen: aus meiner Sicht sind Freiwilligendienste, wie sie momentan häufig dargestellt werden, nämlich mehr oder weniger als Dienst an der Menschheit nicht sinnvoll. Zum einen ist es entwicklungspolitische nicht sinnvoll, fremde Menschen für so kurze Zeit zum arbeiten in ein anderes Land zu schicken – das würde dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe widersprechen. Zum anderen haben Menschen, die kommen, noch nicht einmal eine genügende Qualifikation für die Arbeit, die sie leisten sollen.

Weiterhin besteht die Gefahr, dass die Freiwilligen den Menschen an ihren Einsatzstellen zu unnahbar erscheinen, vor allem, wenn mehrere am eine Einsatzstelle zusammen sind und sich – zumeist unbewusst- von den Menschen vor Ort abgrenzen.

Ein Freiwilligendienst ist aus meiner Sicht nur dann sinnvoll, wenn er als Möglichkeit des freundschaftlichen Austausches zwischen den Kulturen gesehen wird und in beide Richtungen funktioniert. Deswegen schlage ich folgende Veränderungen an dem Konzept des FSJ vor :

  1. veränderte Zielsetzung : Dialog statt Hilfe
  2. Förderung der Süd – Nord Austausche
  3. Gegebenenfalls eine bessere und veränderte Vorbereitung der Freiwilligen auf ihr Auslandsjahr, deren Teil die Sensibilisierung für richtiges und respektvolles, aber vor allem offenes Verhalten in einer fremden Kultur,in der man zu Gast ist, sein sollte.

Und die wichtigste Empfehlung noch zum Schluss: Wenn man sich trotzdem nicht sicher ist, ob ein bestimmter Freiwilligendienst sinnvoll ist oder nicht, frage man doch die Menschen vor Ort, was sie dazu sagen!

Hinterlasse einen Kommentar