Gender

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Als allererstes möchte ich sagen, dass es sich hierbei um eine Gedankensammlung handelt, die allein auf meinen Erfahrungen und den daraus gezogenen Schlüssen basiert. Das bedeutet, dass es sich um eine subjektive Meinung handelt und das wiederum, dass sich daraus kein Konsens ergeben kann, weil andere Menschen andere Erfahrungen gemacht haben. Wenn also jemensch nicht mit dem übereinstimmt, was in diesem Artikel steht, wird mich das absolut nicht überraschen. Ich freue mich dann über Nachrichten, in denen andere Standpunkte vorgebracht und erläutert werden und bin selbstverständlich auch gerne bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen.

Als zweites möchte ich sagen, dass ich nicht die Person bin, deren Meinung hier am Meisten zählen sollte, weil ich in meiner Art nicht durch das in unserer Gesellschaft vorherrschende binäre System unterdrückt oder behindert werde. Wenn sich also jemensch wirklich eine Meinung zu den Problemen, die aus diesem System resultieren, bilden möchte, sollte er zu allererst mit den Menschen sprechen, die direkt davon betroffen sind.

In Anbetracht des Themas halte ich es für richtig und selbstverständlich, gendergerechte Sprache zu benutzen. Da ich darin (noch) keine Übung habe, bitte ich, Fehler zu entschuldigen.

In der 6. Klasse forderte unsere Deutschlehrerin uns auf, als Hausaufgabe etwas zu unseren Vornamen zu recherchieren und diesen dann in der nächsten Stunde vorzustellen. Ich wusste bis dahin über meinen Vornamen nur so viel, dass ich nach meiner Urgroßmutter benannt worden bin. Das hatte ich immer schön gefunden, weil es mir das Gefühl gab, eine Tradition weiterzutragen und somit natürlich auch dazuzugehören. Nicht schlecht staunte ich aber, als ich den Namen „Carla“ in Google eingab: „Carla“ ist ein weiblicher Vorname und somit das Pendant zu „Carl“. Carl (oder Karl) leitet sich wiederum aus dem Althochdeutschen ab und bedeutet „der Mann“ oder auch einfach „Kerl“ – also ein starker und freier Krieger. Also bedeutet Carla etwas wie „Die, die den Männern gleicht“/ „Die Männliche“.

Diese Entdeckung verursachte in mir gemischte Gefühle. Nomen est Omen: Auf der einen Seite hatte ich mich noch nie für eine „Dame“ gehalten. Es stimmte, dass ich in meinem Verhalten in manchen Dingen mehr „den Jungs“ aus meiner Klasse glich als „den Mädchen“. Das hatte mir in der Vergangenheit schon das ein oder andere Mal ein paar schiefe Blicke oder auch einigermaßen gehässige Kommentare eingebracht. Vielleicht passte dieser Name ja gerade deshalb gut zu mir?

Auf der anderen Seite klang mir die Definition meines Namens ein wenig zu sehr wie die Bezeichnung „Mannsweib“. Egal wie mein Verhalten war, ich war ja immer noch ein „Mädchen“. Eigentlich war es ja auch unfair, Sachen wie Fußballspielen oder ähnliches nur den „Männern“ zuzuordnen, oder? Es waren ja einfach nur Sachen, die mir und anderen Spaß machten. In der nächsten Stunde meldete ich mich nicht, um die Bedeutung meines Namens vorzutragen. Ich hatte Angst davor, dass mir sonst der Ruf eines Mannsweibs vorauseilen würde.

Heute musste ich wieder an diese Geschichte denken, weil ich mich frage: Was macht die Geschlechterrollen, wie sie in den Köpfen der Meisten existieren, aus? Besonders interessant finde ich, dass ich zu dem Schluss komme, dass sie sich nicht nur auf unsere Konzeption von anderen Menschen, sondern auch auf unser eigenes Selbstverständnis auf eine Weise auswirken, wie es eigentlich nicht die Notwendigkeit hätte.

Wenn mich jemensch bei meinem Vornamen ruft, fühle ich mich sofort angesprochen. Ich denke nicht darüber nach, dass mich der Rufende in dem Moment quasi (ohne es zu wissen) als Mann und Frau gleichzeitig anspricht, sondern reagiere mit meinem ganzen Wesen, weil ich eben Carla bin.

Wenn ich dagegen mit „Frau Soundso“ angesprochen werde, habe ich immer das Gefühl, dass mein Wesen nicht auf die gleiche Weise reagiert. Mensch müsste es nachmessen, aber ich gehe fast davon aus, dass es ein winziges bisschen länger dauert, bis ich darauf reagiere. Ich finde die Bezeichnung nicht schön, ich finde nicht, dass ich „Frau Soundso“ bin.

Das ist, denke ich, nichts Ungewöhnliches. Jeder identifiziert sich wohl mehr mit seinem*ihrem Vor- als Nachnamen. Es ist aber nicht nur der Soundso, der mich an der Anrede irritiert, sondern auch das Bild, das sich bei mir aus einer Frau Soundso ergibt. Das bin ich nicht. Ich bin Carla.

Wenn ich so darüber nachdenke, stellt sich mir die Frage, was das Gender der „Frau“ überhaupt ausmacht. Ich hoffe es ist allen klar, dass ich jetzt nicht mit irgendwelchen Klischees um die Ecke kommen werde. Eine „Frau“ kann mensch nicht über ihr Verhalten definieren. Das gleiche gilt natürlich auch für „Männer“. Wenn es aber nicht über das Verhalten auszumachen ist (und das Geschlecht selbstverständlich auch keine Rolle spielt), wie komme ich dann zu dem Schluss, dass ich zu der einen oder der anderen oder keiner (oder beider) der beiden Gruppen gehöre? Es können nur die Emotionen des*der Einzelnen sein, die empfunden werden, wenn mensch zu einer der Gruppen gezählt wird. Was ich aber fühle, kann ich selten gut erklären. Es gibt keinen Beweis dafür, dass sich alle Menschen, die sich als „Frau“ bezeichnen dabei das gleiche empfinden. Viel wahrscheinlicher ist es aus meiner Sicht, dass der Begriff von fast jeder ganz unterschiedlich emotional definiert wird.

Die Conclusio könnte also sein, dass Gender ganz egal sind, weil sowieso jeder etwas anderes damit verbindet und es keine feste Definition davon geben kann. Für mich funktioniert das auch. Es ist für mich viel wichtiger zu wissen, wer ich bin (nicht, dass das so einfach wäre), als dass ich eine bestimmte Genderschublade finde, der ich komplett entspreche.

ABER: Ich habe ja auch leicht reden! Ganz anders ist es bei den Menschen, die tagtäglich in Schubladen gesteckt werden, in die sie absolut nicht passen, um sich dann jedes Mal mühevoll wieder herauskämpfen zu müssen. Bei ihnen geht es nicht um kleinere Unsicherheiten wie eine Nanosekunde Zögern bei Ansprache mit Nachnamen, sondern darum, dass ihr Wesen nicht zu dem System passt, was vorherrscht. Und es sollte auch nicht dazu passen müssen. Da das System offensichtlich menschengemacht ist, muss es nun auch durch Menschen nicht nur erweitert, sondern grundlegend verändert werden. Wir müssen aufhören, die Welt in „männlich“ und „weiblich“ einzuteilen, vor allem, weil keiner eine Ahnung hat, was zur Hölle das überhaupt bedeuten soll. (und DAS war die Conclusio)

Meinen Nachnamen habe ich hier übrigens offensichtlich und wenig kreativ geändert.

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