Die Hälfte

am

Heute ist mir was aufgefallen: Ich befinde mich grade in den Semesterferien nach meinem 5. Semester. Klingt für mich immer noch nicht besonders viel. Schon von Anfang an fand ich immer, dass es ziemlich krass klingt, wenn man sagt: „Ich bin Medizinstudentin“. Das wird aber deutlich abgeschwächt, wenn man etwa hinzufügt: Im ersten Semester. Oder im zweiten oder dritten. Oder eben aus im fünften. Noch weiß ich ja auch fast gar nichts. Aber dann ist mir eben heute aufgefallen, dass es doch einen kleinen Unterschied gibt: Nach 10. Semestern werde ich voraussichtlich mein 2. Staatsexamen ablegen und dann werde ich im PJ auch schon wirklich in einer Klinik arbeiten. Und 5 ist nunmal die Hälfte von 10.

Wie konnte das denn passieren? Was habe ich die letzten 2,5 Jahre getrieben, dass sie so unheimlich schnell vorbeigegangen sind?

Na gut, offensichtlich war ich ganz schön beschäftigt mit lernen. Wenn ich mich an die Klausurenphasen zurückerinnere, schaudert es mir noch immer. Aber wie viel ist davon wirklich hängen geblieben? Zumindest nicht die Hälfte von dem, was mich zu einer Ärztin machen sollte.

Vielleicht sollte ich mal ein paar meiner Erfahrungen und Erkenntnisse hier niederschreiben:

1.) Der Körper ist so was von kompliziert

Und zwar so was von. Was da alles miteinander zusammenhängt, habe ich immer noch nicht begriffen. Jedes Semester wieder denke ich mir: Hey, das hast du doch irgendwo schonmal gehört. Das hing doch noch mit was ganz anderem zusammen – nur mit was? Wenn mir jemand die klassische Frage stellt („Du bist doch Medizinerin: Was könnte das sein?“) ist mein Ansatz so gut wie immer, „Heile, heile Segen“ zu singen. Ich kann nur hoffen, dass sich das im Laufe der nächsten Jahre noch ein bisschen ändern wird.

2.) Die Menschen sind schon echt unterschiedlich

Was der eine mit „so schlecht ging es mir noch nie“ beschreibt, quittiert die nächste nur mit einem Schulterzucken. Es scheint sehr von der Erziehung und dem Umfeld, aber natürlich auch von der Person abzuhängen, wie sie eine Krankheit empfindet. Man könnte meinen, dass einem MedizinerInnen die Menschen am liebsten sind, die sich niemals beschweren. Natürlich ist es grade als MedizinstudentIn recht angenehm, wenn der Patient auch nach dem 4. Versuch Blut abzunehmen noch nicht aus der Haut fährt. Allerdings ist es auch nicht gerade hilfreich, wenn keine Symptome vom Patienten genannt werden, weil er sie für nicht erwähnenswert hält. Ein dickes Fell ist gut, aber es bedeckt auch das, was darunter liegt.

3.) Compliance, Compliance!

Man könnte der oder die schlauste MedizinerIn auf der Welt sein und würde trotzdem keinem einzigen Menschen helfen, wenn man ihnen nicht erklären kann, warum sie sich an die vorgeschlagene Behandlung halten sollen. Das ist manchmal gar nicht so leicht wie man denkt, auch wenn auch hier natürlich wieder viel vom Individuum des Patienten oder der Patientin abhängt. Während den einen schon die Begründung „Der Doktor hat das gesagt“ reicht, muss man bei anderen echte Erklärungen abgeben, die die eigene Strategie und die ihr zugrundeliegenden Gedankengänge verständlich machen sollen. Dabei muss man zwei Gegensätze miteinander vereinbaren: Zum einen muss man die medizinischen Zusammenhänge verständlich erklären, ohne dabei auf bestimmten Fachwörtern und komplizierten physiologischen Vorgängen herumzureiten. Gerade erfahrenen Medizinern fällt das meiner Beobachtung nach manchmal schwer, da sie anscheinend nicht immer unterscheiden können, welche medizinischen Fakten zum Allgemeinwissen der meisten zählen und welche nicht. Zum anderen darf sich ein(e) PatientIn im Arztgespräch aber auch nicht so fühlen, als ob man ihn wieder in die Grundschule zurückversetzt hätte. Wenn die Kommunikation nicht auf Augenhöhe stattfindet, kann das beim Behandelten Frust auslösen, der ebenfalls zur Nichteinhaltung des Behandlungsplans führen kann.

Es ist also gar nicht so einfach, ein gutes Verhältnis zu all seinen PatientInnen herzustellen. Wenn es aber klappt, trägt das zur Compliance der Patienten bei: Die halten sich besseren den Behandlungsplan und es besteht eine größere Chance auf Gesundung.

4.) Du bekommst, was du lernst – oder halt auch nicht

Das passiert mir bis jetzt unter Garantie wirklich jedes Semester: Wir beschäftigen uns intensiv mit einem bestimmten Krankheitsbild und dessen Symptomen und zack – schon kann ich ein paar davon auch bei mir feststellen. So habe ich bei mir schon Blutkrebs, Diabetes, Haarausfall aufgrund von Hormonstörungen, Leistenbruch, Meningitis und Pneumothorax diagnostiziert – und all diese Diagnosen nach wenigen Stunden bis Tagen fallen gelassen (zum Glück). Was man also auch im Medizinstudium lernen sollte, ist eine gewisse Gelassenheit. Ein Symptom kann auf vieles hindeuten, aber meist wird es durch etwas harmloseres verursacht, als man vielleicht zunächst annimmt. Ein gutes Beispiel dafür sind zum Beispiel Brustschmerzen: Viele Menschen denken bei Schmerzen oder Druckgefühl besonders in der linken Brust sofort an das Herz. Dabei kann auch ganz anderes der Grund dafür sein, zum Beispiel der Magen. Der liegt nämlich viel höher, als es sich viele vielleicht vorstellen (etwa auf Höhe des linken Rippenbogens, vielleicht sogar noch etwas höher). Wenn jetzt also zum Beispiel der Magen übersäuert ist, kann das zu einem unangenehmem Gefühl im Brustbereich führen – nicht schön, aber immerhin bei weitem nicht so gefährlich wie ein Herzinfarkt.

 

5.) Manche Sachen sind Scheiße

In meinen Praktika habe ich inzwischen schon einige Situationen erlebt, die mir nicht hat gefallen haben. Nicht, weil ein/e PatientIn besonders anstrengend war oder weil ich mich durch Unwissen oder falsches Verhalten blamiert habe (beides auch schon häufig genug vorgekommen), sondern, weil ich Geschichten und Schicksale mitbekommen habe, die unfair und traurig waren, und ich nichts daran ändern konnte. Junge Mutter, die von Ihrem Ehemann geschlagen wird. Mann in meinem Alter, der einen Drogenentzug machen muss und sich dabei einsam fühlt. Mutter, die seit langem mit einer Alkoholsucht zu kämpfen hat nicht in den Entzug möchte. 6-jähriges Mädchen, vom Motorrad angefahren und nun für ihr Leben Narben im Gesicht trägt. Das sind nur die ersten paar Begebenheiten, die mir grade spontan eingefallen sind. Obwohl manche dieser Begegnungen schon Jahre her sind, gehen sie mir immer noch durch den Kopf. Manchmal habe ich das Bedürfnis, eine/n PatientIn einfach zu umarmen. Manchmal möchte ich mich über den Willen des Behandelten hinwegsetzen, weil ich der Meinung bin, dass sie oder er nicht den richtigen Weg einschlägt. Gemacht habe ich so etwas noch nie.

 

6.) Nicht ohne mein Team

Neben meinem Studium arbeite ich momentan auch als studentische Hilfskraft in einer Ambulanz der UKD. Dort habe ich gelernt, dass ein Krankenhaus ein wahnsinnig komplizierter Ort ist. Zum Glück scheint es aber dennoch Menschen zu geben, die sich darin auskennen. Allerdings sind das meiner Erfahrung nach nicht unbedingt die Ärzte, sondern einige der Netten Personen hinter den Anmeldetresen. Wenn sie nicht wären, würde wohl so manche Ambulanz und so manche Station im Chaos untergehen. So werden diese Personen zumindest bei uns sogar von den meisten Ärztinnen und Ärzten respektiert. Gut so!

 

 

 

 

Hinterlasse einen Kommentar