Übers Helfen

Ich habe schon häufiger von meinem „Bruder“ Exavery in Matema erzählt. Wir haben uns in der ersten Hälfte meines FSJs dort kennengelernt. Ihm ist es zu verdanken, dass ich mehr als ein paar Worte Kiswahili spreche, das Dorf inzwischen kenne wie meine Westentasche und ein wenig Motorradfahren gelernt habe (Sorry Mama).

Er ist mit Upendo verheiratet. Als ich ihn kennengelernt habe, lebte er mir ihr und seiner Tochter Shaney in in einer Lehmhütte. Die ist Weihnachten 2017 von einem Sturm umgeweht worden. Zu der Zeit war Upendo mit ihrem zweiten Kind hochschwanger. Seitdem baut er an einem neuen Haus aus Ziegelsteinen, dem bis jetzt immernoch ein richtiges Dach fehlt, sodass das Provisorium sich bereits schoneinmal in einem Sturm verabschiedet hat und die Familie wieder einmal im Regen stand, diesmal erweitert um meinen 2 jährigen Patensohn. Im letzten Frühjahr ging es Upendo so schlecht, dass sie mehrfach im örtlichen Krankenhaus aufgenommen werden musste. Leider konnte man nicht herausfinden, was genau ihr fehlte, weil dem Krankenhaus die diagnostischen Möglichkeiten fehlten und Exavery nicht das Geld hatte, um sie in ein anderes Krankenhaus verlegen zu lassen.

Im Herbst hat mich Exavery angerufen und mir erzählt, dass er überlege, Diamanten im Norden von Tanzania schürfen zu gehen. Das würde bedeuten, dass er mehrere Tagesreisen von seiner Familie entfernt in Mienen arbeiten müsste und nur bezahlt würde, wenn er tatsächlich etwas finden würde. Ich habe ihm praktisch verboten, dort hinzugehen. Ich habe ihm gesagt, dass ich zu viel Angst um ihn haben würde und er hat das akzeptiert.

Mein Bruder und ich telefonieren jede Woche, manchmal sogar fast jeden Tag. Wir haben uns nun fast eineinhalb Jahre nicht mehr gesehen und vermissen uns sehr. Vorletzten Sommer, als ich ihn das letzte Mal besucht habe, hatten wir die Idee, dass er nach Deutschland kommen würde, sobald er das Haus fertig gebaut habe. Seitdem ist viel passiert, aber das Haus hat immernoch kein Dach und er hat immernoch keine Idee, wie er das fehlende Geld (ca. 350€) zusammenbekommen soll.

Ich denke viel darüber nach, wie ich Exavery helfen kann. Nicht nur in den akuten Krisen, die immer wieder aufkommen und in denen es wenn nicht um Leben um Tod, dann doch um die Gesundheit eines geliebten Menschen geht. Ich frage mich, wie ich mit der großen Ungerechtigkeit, die unsere Leben so eindeutig voneinander unterscheidet, umgehen soll.

Ich will helfen. Ich will etwas an der ungerechten Situation ändern. Aber was soll ich tun? Soll ich

  • Das Geld für das Dach zusammensparen und der Familie zuschicken?
    • widerspricht dem Prinzip zur Selbsthilfe
  • Eine Art Laden für sie kaufen, mit dessen Bewirtschaftung sie sich eventuell besser über Wasser halten können.
    • oder auch nicht, denn woher soll ich wissen, ob ein solcher Laden laufen würde?
  • Eine Spendenaktion ins Leben rufen, die es mir ermöglichen würde, der Familie ein großes Kakaofeld zu kaufen, das höchstwahrscheinlich einen solchen Gewinn abwerfen würde, dass sich das Leben der Familie von Grund auf verändern würde?
    • würde jemand für so etwas spenden?
    • selbst wenn wäre das doch der Gipfel der Ungerechtigkeit gegenüber allen anderen Familien in Matema und wäre ein radikaler Eingriff in die Dorfgemeinschaft, zu dem ich nicht berechtigt bin, oder?
    • aber vielleicht könnten sie dann sogar andere Menschen als Erntehelfer o. ä. einstellen, was ja dann auch anderen Familien helfen würde?
  • Für die Ausbildung der beiden Kinder aufkommen?
  • Oder ist das doch alles kompletter Schwachsinn und ich muss an einer höheren Stelle ansetzen, weil es einfach ungerecht ist, Einzelne so zu bevorzugen?

Eines steht fest: Helfen fühlt sich nicht gut an. Nichthelfen noch viel weniger.

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