Das ist viel zu viel!

Wie soll ich euch bloß alles erzählen, was ich in diesen ersten Tagen schon erlebt habe? Wahrscheinlich gar nicht. Aber ein bisschen will ich es schon versuchen. Also: Jetzt erfahrt ihr mal was über Matema.

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Diesen Blick werde ich euch noch sehr häufig unter die Nase reiben – in tausend verschiedenen Varianten

Es ist wunderschön hier! Das liegt allerdings nicht so sehr am Dorf selbst, sondern daran, wo es liegt. Wir befinden uns hier genau an der nördlichen Spitze vom Nyassa-See. Das ist der drittgrößte See in Afrika und der neuntgrößte auf der Welt, zumindest, wenn man nach der Größe der Wasseroberfläche fragt. Wenn man allerdings nach dem Volumen geht, rutscht er locker noch einige Plätze nach vorne: An einigen Stellen ist der See nämlich stolze 700m tief und schlägt zum Beispiel den Victoriasee dadurch, wenn schon nicht um Längen, so aber doch um Tiefen. Viel wichtiger ist aber, dass das Wasser hier so klar ist, dass man meinen könnte, es komme direkt aus der Leitung. Tatsächlich trinken viele das dann auch einfach so, aber nachdem ich zuerst gesehen habe, mit wie viel Waschpulver die Frauen ihre Wäsche dort waschen, ich heute auch meine erste Ladung Rei in der Tube beigesteuert habe und mein Shampoo ebenfalls schon seit ein paar Tagen fröhlich im Wasser mitmischt, bin ich doch ganz froh, dass ich mein meins immer abkoche, bevor ich es trinke.

Nun zum Haus Berlin. Man kann es ganz einfach beschreiben: Quadratisch, Praktisch, Gut. Zu Punkt eins muss ich eigentlich nicht mehr viel sagen: Es gibt vier Wände aus Ziegelsteinen und ein Dach.

Zu Punkt zwei: Es ist praktisch, aber nicht komfortabel. Will zum Beispiel heißen, dass bis jetzt noch nicht ein Mal aus irgendeinem Wasserhahn hier mehr als ein Tröpfchen gekommen ist (=nicht komfortabel). Zum Glück wurde das Haus aber nur 200m vom See entfernt gebaut. So schleppe ich zwar jeden Tag ein bis zwei riesige Eimer Wasser ins Haus, muss dazu aber zumindest nicht weit laufen (=praktisch). Ein anderes Beispiel: Das Haus ist ans Stromnetz angeschlossen und verfügt sogar über europäische Steckdosen (gut, dass ich etwa 20 Adapter mitgeschleppt habe!), aber ob da dann auch Strom rauskommt, ist reine Glückssache. Tagsüber gibt es fast nie welchen. Das macht aber gar nichts, weil man ihn auch nicht braucht, solange es hell ist. Abends ist es dann schon cooler, nicht im Dunkeln sitzen zu müssen – heute Abend ist das zum Beispiel der Fall. Aber auch das ist kein Grund zum Verzweifeln: Kerzen sorgen für Licht und gleichzeitig für romantische Stimmung, wie man auch im Beitragsbild sehen kann.

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Undw

Zu Punkt 3: Man kann sich hier richtig wohlfühlen. Es ist alles da: Eine Küche inklusive Gasherd, der also auch funktioniert, falls der Strom weg ist, und Kohlekocher, in dem ich bereits meinen ersten Brotbackversuch gestartet habe (siehe Bilder), ein Schlafzimmer mit ausreichend großem Bett (keine Selbstverständlichkeit!), ausreichend großem Schrank und sehr großem Schreibtisch, ein Gästezimmer, dass ich prompt zum Wäschezimmer umfunktioniert habe, ein Bad mit europäischer Toilette (Halleluja!) und ein ziemlich großes Wohnzimmer, dass von meine Vorgänger schon ziemlich cool gestaltet haben: Die Wände sind blau-weiß gestrichen, an der einen Seite prangt eine selbstgemalte Weltkarte (so viel künstlerisches Talent könnt ihr von mir schonmal nicht erwarten).

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… und wenn man das Verbrannte abgekratzt hat, hat es auch geschmeckt 🙂

An zweien stehen Regale (eins davon ein umfunktionierter Teil eines Einbaums) mit genug Lesestoff für sie nächste Zeit. Die beiden anderen haben Fenster, in denen alte Flaschen stehen, die als Kerzenhalter herhalten (jetzt müsste ich halt nur noch mal Kerzen besorgen… demnächst). Alle Fenster sind hier ohne Glasscheiben, die auch gar nicht nötig sind, weil es nie so kalt wird, dass man welche brauchen könnte. Dafür sind sie aber mit Mückennetzten bedeckt. Gut so! Ansonsten befindet sich hier noch eine Sofaecke mit vier Sitzen, von denen zwei mal wieder neu bezogen werden könnten. Ein erstes Projekt für dieses Jahr! Super sauber ist es hier nicht, aber gemütlich. Mal schauen, ob ich mich noch zu einem großen Frühjahrsputz aufraffen kann, oder ob ich damit noch ein bisschen warte… bis es tatsächlich Frühjahr ist zum Bespiel.

Außerdem bin ich nie einsam hier: Zum einen liegt das an Horden von Ameisen, die sich hier anscheinend sehr heimisch fühlen. Jeden Tag finden sie etwas Neues, das ich vergessen habe, gut wegzupacken, und dann ist die Stelle schwarz von den kleinen Viechern. Ich habe das Gefühl, dass die hier auch irgendwie einen besseren Instinkt dafür haben, wo sich welche Leckereien befinden als die deutschen Ameisen, oder aber sie sind einfach nicht so wählerisch. Bis jetzt habe ich sie schon von Toastbrot, einem Müsliriegel, Obst, einem nicht abwaschen Messer mit Margarine drauf, aber auch von meinem Shampoo verscheuchen müssen. Ich bin sicher, dass sie, wenn ich gleich mal in die Küche gehe, schon wieder ein nächstes Opfer gefunden haben. Dann habe ich auch noch Gesellschaft in Form von anderen Krabbeltieren: In der ersten Nacht habe ich zum Beispiel mit einer Kakerlake unter dem Kopfkissen geschlafen, ohne es zu merken. Als ich dann am nächsten Morgen das Bett machte, gab das eine kleine Überraschung. Allerdings ist das sicher auch für sie keine besonders schöne Erfahrung gewesen: Immerhin hatte ich sie im Schlaf plattgedrückt. Dann gäbe es hier noch ein paar Geckos und natürlich Mücken. Bei denen lasse ich allerdings keine Gnade walten: Die werden mit dem Insektenspray eiskalt aus der Luft geholt. Auf Malaria in den ersten Wochen (und eigentlich auch später) kann ich nämlich wirklich verzichten.

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Upepo (auf meinen Vokabelkarten)

So, jetzt aber zu den anderen Lebewesen, die bewirken, dass ich mich weniger einsam fühle: Zum einen ist das Upepo, ein dünner, sandfarbener Hund mit ziemlich struppigen Fell. Verena hatte mir schon geschrieben, dass sie sich den im Laufe des Jahres zum Freund gemacht hätte und dass es sein könnte, dass er jetzt auch mir ab und an einen Besuch abstatten würde. Tatsächlich ließ er nicht lange auf sich warten: Schon am ersten Abend, als ich von meinem ersten Strandbesuch zurückkam, lief er mir ein paar Schritte hinterher. Gestern hat er sich mir dann aber offiziell vorgestellt: Ich machte die Haustür auf und da saß er uns starrte mich an. Nach kurzem Beschnuppern folgte dann die erste Streicheleinheit und danach kam er noch dreimal an. Da ich ja schon immer einen Hund haben wollte, fühlt sich das zwischen uns wirklich ein bisschen wie Schicksal an!

Zum anderen gibt es hier aber auch unheimlich viele nette Menschen, was natürlich auch das Wichtigste ist. Vielleicht fange ich mit der Arbeit im Krankenhaus an, um das zu beschreiben:

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Nein, ich war nicht aufgeregt!

Nach meiner ersten Nacht im Haus Berlin schlüpfte ich am nächsten Morgen (nachdem ich den Kakerlaken-Shock überwunden hatte) zum ersten Mal in Krankenhaus Kleidung und machte mich auf den Weg zum „Matema Lutheran Hospital“. Ob man dabei überhaupt von „Weg“ sprechen kann, sei allerdings mal dahingestellt – es dauert etwa eine Minute, dort hinzukommen. Im Eingangsbereich standen bereits einige Ärzte und Krankenschwestern, die mich neugierig beäugten. Ich teilte meine ersten „Habaris“ aus, war aber zu mehr viel zu aufgeregt. Dann ging es in den Versammlungsraum, in dem mich Heinke bereits erwartete. Es folgte der „Morning Report“, in dem berichtet wurde, was in der Nacht passiert war, sprich: Wer ist neu aufgenommen worden? Wer hatte in der Nacht Probleme? Wie viele Kinder sind geboren worden? Wer ist gestorben? Obwohl die Informationen auf Englisch vorgetragen wurden, verstand ich eigentlich so gut wie gar nichts. Das lag zum einen an meiner Aufregung, zum anderen aber auch daran, dass ich mich och an den Akzent, mit dem das Englisch hier gefärbt ist, gewöhnen muss. Die Fragen zum Bericht wurden dann wieder auf Swahili gestellt und ich konzentrierte mich darauf, ein paar Wörter aufzuschnappen und daraus den Sinn der Sätze zu deuten. Das gelang mir mal mehr, mal weniger gut. Nachdem alles geklärt war (zumindest für die anderen), folgte meine Vorstellung. Ich hatte nichts vorbereitet und musste also improvisieren. Dafür lief es aber eigentlich ganz gut. Ich stellte mich vor und trat dann nur in das eine Fettnäpfchen, vor dem Heinke mich bereits gewarnt hatte: „Nitafanya kazi ya uuguzi.“ (=ich werde die Arbeit einer Krankenschwester machen). Heinke schnappte nach Luft und schaute mich entgeistert an. Später erklärte sie mir noch einmal, dass ich Volontärin bin und deshalb offiziell nicht arbeiten darf. Da wir und hier im Grenzgebiet zu Malawi befinden, wird darauf hin und wieder auch wirklich geachtet und das Krankenhaus kann Probleme bekommen, wenn es mich tatsächlich als Arbeiterin einsetzen würde. Also arbeite ich nicht, ich bin einfach Freiwillige. Daran muss ich mich bei der Vorstellung einfach noch gewöhnen.

Bis auf diesen Fehltritt, den aber eigentlich nur Heinke störte, wurde meine Vorstellung aber gut aufgenommen und es folgte das Begrüßungsritual: Alle rieben sich die Hände, und auf Zuruf wurde dann dreimal geklatscht. Das bedeutet: Du bist herzlich willkommen. Die Zeit bis zur anschließenden Andacht überbrückten Heinke und ich damit, dass sie mir einige Ärzte und Krankenschwestern näher vorstellte und mir ihr Büro zeigte. Von der Andacht verstand ich dann kein Wort und versuchte stattdessen, immerhin bei dem Lied ein bisschen mitzusingen. Dann führte mich Heinke im Krankenhaus herum. Zu seiner Größe kann man sagen, dass er zwar wesentlich kleiner ist als alle Krankenhäuser, die ich in Deutschland je besucht habe, aber wesentlich größer als diejenigen, die ich bis jetzt in Tansania gesehen habe. Es liegt direkt am Strand und besteht aus einer Ansammlung von einstöckigen Gebäuden, die durch überdachte Wege miteinander verbunden sind. Heinke brauchte etwa eine Stunde, um mich überall herumzuführen, allerdings verbrachten wir die meiste Zeit natürlich damit, mich dem Krankenhauspersonal vorzustellen.

Schließlich setze mich Heinke im Krankenpfleger-Zimmer der Erwachsenenstation ab. Die erste Zeit werde ich nämlich dort arbeiten. Dort lernte ich zuerst Niko kennen. Er ist Hilfskrankenpfleger, kann aber eigentlich viel mehr, als es seine berufliche Stellung vermuten lässt. Vor allem Englisch, was mich natürlich hoch erfreute. Er zeigte mir noch einmal die Erwachsenenstation und erklärte mir auch schon ein paar Arbeiten, die hier so anfallen. Nach dem Rundgang hatten wir aber leider nicht mehr viel zu tun und so saßen wir im Pflegerzimmer und er tippte auf seinem Handy herum. Zum Glück kam dann aber nach einer Weile Dafroza herein. Sie ist ebenfalls Krankenschwester und nahm mich nun ein bisschen an die Hand – und das im wörtlichen Sinne: Mit verschränkten Fingern liefen wir durchs Krankenhaus, um Akten oder Medikamente zu besorgen. Sie versprach mir, mir alles beizubringen, was es so auf den Stationen zu tun gab und nannte mich bald „Dada yangu“, also meine Schwester.

Die Arbeit geht, wenn man am Vormittag anfängt, immer von halb acht Uhr morgens bis 14:00 Uhr. In dieser Zeit müssen die Krankenpfleger die Medikamente für sämtlich Patienten zusammenstellen, alles, was dabei an Tabletten ausgeht, aus der Apotheke neu beschaffen, Proben ins Labor bringen und mit dem zuständigen Arzt auf „die Runde“ gehen – so wird hier die Visite genannt. Das finde ich momentan am spannendsten: Man geht mit von Bett zu Bett und ist dem Arzt bei der Untersuchung behilflich, was so viel bedeutet wie Akten anreichen und neue Anordnungen zur Medikation notieren, aber auch Blutdruck und Temperatur messen. Zugegeben, das sind eigentlich keine besonders anspruchsvollen Aufgaben, aber wenn man die Anordnung, irgendetwas von diesen Dingen zu tun, auf Kiswahili bekommt, wird das Ganze gleich viel spannender. (Hat er jetzt gesagt, dass ich den Blutdruck messen soll oder die Temperatur? Ich mach am besten erstmal die Schublade des Visitenwagens mit den Instrumenten auf… Ah, der Patient krempelt den Ärmel hoch, dann war es wohl der Blutdruck!) Zum Glück habe ich bis jetzt wirklich ausschließlich nette Krankenpfleger kennengelernt, die sich nicht zu schade sind, mir den für sie wahrscheinlich langweiligsten Vorgang der Welt auch noch zum dritten Mal zu erklären.

Jetzt wo wieder ein paar Tage mehr vergangen sind (den letzen Absatz habe ich vor fast einer Woche geschrieben), habe ich auch schon meinen ersten Toten zu beklagen: Heute wurde ein alter Mann eigeliefert, der unter spastischen Zuckungen litt und nicht mehr ansprechbar war. Schon als es auf einer Bahre zu uns ins Pflegerzimmer getragen wurde, hatte ich unterbewusst das Gefühl, dass das nicht gutgehen konnte. Das habe ich dann aber schnell wieder verdrängt und war dann also doch überrascht, als es passierte. Wahrscheinlich waren ich und Acha, also eine andere Pflegerin, auch noch die letzten, die ihn lebendig zu Gesicht bekommen haben. Für ihn dürfte das, falls er es überhaupt noch mitbekommen hat, nicht gerade der beste Abschluss gewesen sein: Wir haben ihn einen Urinbeutel verpasst. Als wir eine Zeit danach dann wieder zu ihm reingekommen sind, hat er nicht mehr geatmet. Keiner ist bei ihm gewesen, als er gestorben ist. Das hat mir nochmal klargemacht, dass hier schon ein anderer Standard herrscht als in den Krankenhäusern Europas: Dort wären seine Vitalzeichen sicherlich durch Maschinen überwacht worden. So hätte ihm seine frau zumindest noch einmal Lebewohl sagen können – sie saß wahrscheinlich die ganze Zeit draußen vor der Tür, als es passierte. Natürlich hätte ich dem Menschen auf jeden Fall gewünscht, dass er sich wieder erholen möge, und ich empfinde auch Mitleid, vor allem für seine Frau, aber ich kann jetzt nicht sagen, dass mich sein Tod besonders mitgenommen hätte. Ich wusste ja, dass das passieren würde, wenn vielleicht auch nicht ganz so bald. Am meisten beschäftigt mich noch, dass man hier noch nicht mal die Mittel hat, festzustellen, ob jemand im Nebenzimmer vielleicht gerade stirbt.

Anderes Thema: Ich muss hier einfach noch einmal betonen, wie unglaublich nett und offen die meisten Menschen zu mir sind. Viele kennen das Ritual wahrscheinlich schon, nach dem jeden Spätsommer ein bis zwei völlig unwissende, weiße Wesen in Matema ankommen, und haben sich inzwischen daran gewöhnt. Aber diese Freundlichkeit, mit der ich hier überall empfangen werde, ist trotzdem nicht selbstverständlich. Egal, wohin man geht, überall bleiben die Leute stehen und begrüßen einen. Viele haben sich inzwischen sogar meinen Namen gemerkt – und ich mir ihren oft noch nicht (peinliche Situationen…). Ich führe hier mal drei Bekanntschaften an, um die Offenheit hier, aber auch die Unterschiede, die es im Umgang miteinander gibt, zu verdeutlichen:

1: Die ersten Tage bin ich am Nachmittag oft noch über den Strand zum Haus von Heinke gegangen, um einige Fragen zu stellen und auch um ein bisschen unter Leuten zu sein, bei denen ich mich ohne Anstrengung verständigen kann. Am dritten Abend nach meiner Ankunft war ich als von so einem Besuch wieder auf dem Weg zurück nach Hause und versuchte dabei, eine Abkürzung zu nehmen. Dabei kam ich an einer Gruppe Frauen vorbei, die vor ihrem Haus saßen. Ich wollte ihnen eigentlich ein flüchtiges „Mambo“ zuwerfen – in Gedanken war ich schon bei der Zubereitung des Abendessens –  war deshalb eigentlich schon an ihnen vorbei, als ich ihr „Karibu!“ hörte. Die eine Frau wiederholte es nochmals und damit war klar: Sie hatte mich in ihr Haus eingeladen. Kurz zögerte ich, dann aber kam es mir unhöflich vor, erst stehen geblieben zu sein und dann doch weiterzugehen. Ich fragte noch einmal vorsichtshalber: „Kweli?“ (=Bist du sicher?), und als die lebhaft nickte, folgte ich ihr in ihr Wohnzimmer. Dort wurde ich aufs Sofa verfrachtet und augenblicklich mit Cola versorgt. Der Raum war nicht besonders klein, aber ganz schön vollgestopft: Unter den Sofas lagen Tomaten, in der Ecke standen Eier und der Schrank platze vor lauter Schüsseln und Tellern fast aus allen Nähten. An der Wand hing ein Bild von Tansanias aktuellem Präsidenten. Insgesamt keine Einrichtung, mit der ei Innenarchitekt für sich werben würde, aber dafür sehr gemütlich. Nach und nach trudelten sämtliche Familienmitglieder im Haus ein. Die Reaktion auf mich war jedes Mal die selbe: Große Augen, dann aber ein freundliches Lächeln und ein Gruß. Ich versuchte, ihnen die Gastfreundschaft mit ein paar Brocken Kiswahili zu vergelten. Tatsächlich haben sie mich verstanden und ich tatsächlich auch ein paar von ihren Antworten: Ich bekam heraus, dass die Frau, die mich eingeladen hatte, Justia heißt und drei Kinder hat. Sie lebt mit ihrem Mann, den Kindern, ihrer Schwester und ihrem Bruder zusammen. Der Bruder ist Fischer. Sie haben mir noch einiges mehr erzählt, aber viel mehr habe ich leider nicht verstanden. Trotzdem habe ich mich nicht unwohl gefühlt, bei einer wildfremden Familie im Zimmer zu sitzen. Das wäre in Deutschland sicher anders gewesen. Als ich mich schließlich erhob, um zu gehen, lud Justia mich ein wieder zu kommen. Das habe ich auch fest vor! Und jetzt kommt das beste: Gestern habe ich dann herausgefunden, wer ihr Ehemann ist: Mein Chef Ntanfo, der für alle Krankenpfleger auf der Erwachsenenstation verantwortlich ist! Ich war vielleicht baff, als er mir auf seinem Handy ein Foto von seiner Frau zeigte und mich fragte, ob ich die nicht kennen würde! Heute hat er mich noch einmal eingeladen, sie bald wieder besuchen zu kommen. Leider habe ich momentan so viele Einladungen, dass ich echt schauen muss, dass keiner zu kurz kommt!

2: Am Sonntag hatte ich die Vorstellung im Gottesdienst. Obwohl der eigentlich erst um 10 Uhr stattfindet, lag ich schon um halb acht hellwach im Bett. Irgendwie war ich doch ziemlich gespannt auf das, was da auf mich zukam. Tatsächlich habe ich mir sogar richtig Gedanken darum gemacht, was ich zu diesem Anlass anziehen will… So lange wie da habe ich schon lange nicht mehr vor einem Schrank gestanden. Nachdem ich einigermaßen zufrieden mit meiner Garderobe und auch die Frage der Frisur geklärt war (besonders raffiniert: Einfach offenlassen), hatte ich immer noch ewig viel Zeit. Endlich aber ging es los: Pünktlich um 9:45 Uhr stand ich vor der Kirche. Pünktlich um fünf vor 10 stellte ich fest, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte: Die Kollekte! Damit habe ich erfolgreich die Tradition aus Deutschland fortgesetzt, wo ich auch grundsätzlich nie Kleingeld habe, wenn ich es grade mal brauche. Damit sollte jetzt aber Schluss sein! Gute Sache, dass mein Haus etwa 200m von der Kirche entfernt ist (wie eigentlich alles hier, wenn man mal darüber nachdenkt: Der Strand, das Krankenhaus, der Markt…).

So viel Stress hätte ich mir aber natürlich gar nicht machen müssen, wenn ich mal an die Bedeutung von Uhrzeiten hier denke. Natürlich begann der Gottesdienst nicht um 10. Als es dann aber losging, hatte sich das Warten echt gelohnt: Heinke hatte mir schon erzählt, dass an diesem Tag das Fest der Kinder gefeiert würde. Ehrensache natürlich, dass der Kinderchor zu diesem Anlass sämtliche Geschütze auffuhr. Nicht nur der Gesang war wunderschön: Ich musste sofort an meine ehemalige Chorleiterin denken, wie sie von uns zum hunderttausendsten Mal forderte: Jetzt steht doch nicht da wie die Ölgötzen! Legt Gefühl in den Gesang! Präsenz zeigen! All das hatten die Kinder (ohne dem Berliner Mädchenchor zu nahe treten zu wollen – ich liebe euch!) uns um Meilen voraus. Sämtliche Lieder hatten eine Choreographie und jedes der Mitglieder beherrschte diese perfekt. Da ein vorzüglicher Chor pro Gottesdienst hier aber nicht zu reichen scheint, bot der Chor der Bibelschule dem Kinderchor ordentlich Konkurrenz. Nach diesem Erlebnis bin ich mir in zwei Dingen ganz sicher: Erstens: Ich möchte auf jeden Fall in den Jugendchor gehen, sobald mein Kiswahili sich auch nur im entferntesten dazu eignet (eine Einladung dazu habe ich übrigens auch schon) und Zweitens: Ich werde mich dort in den ersten Proben komplett zum Affen machen, wenn ich versuche, bei der Tanzmoves mitzukommen. Macht gar nicht. Dann haben die anderen auf jeden Fall was zum Lachen.

Die Vorstellung ist dann auch wirklich gut gelaufen: Zwar mussten Heinke und ich erstmal rausfinden, wann genau ich denn jetzt nach vorne kommen sollte, aber als das klar war, hat alles wunderbar funktioniert: Ich habe meine kleine Rede vorgetragen, einen Lacher dafür geerntet, dass ich mich selbst nach einem grammatikalischen Fehler schnell noch korrigierte und am Ende wurde ich mit drei lauten Klatschern – das ist her so Brauch – begrüßt.

Nach dem Gottesdienst folgte die Versteigerung der Dinge, die bei der Kollekte statt Geld gespendet worden waren. Es gab Kochbananen, Eier und verschiedene Früchte, deren Namen noch nicht einmal Heinke kannte. Ich mag diese Tradition: Man kann nämlich auch für einen anderen mitsteigern: So wurde etwa der Evangelistin, die den Gottesdienst gehalten hatte, eine ganze Staude Kochbananen zum Dank überreicht, die dann aber jemand anders bezahlte.

Nach dem Gottesdienst musste mich von Heinke verabschieden. Die werde ich für die nächsten drei Monate nämlich erstmal nicht mehr sehen: Die reist nach Deutschland, um sich einer OP zu unterziehen, die hier nicht gemacht werden kann. Zuerst wurde mir ein bisschen flau im Magen, als ich das erfuhr, aber zum Glück kommt ihr Ehemann, der ja sowieso mein eigentlicher Mentor ist, schon in einer Woche wieder. Und das Beste: Er bringt auch noch den Afrikareferenten des Berliner Missionswerkes mit, der den Freiwilligen in Tansania einen Besuch abstattet. Da haben Melissa, Nele und ich natürlich gleich die Gelegenheit genutzt, um uns noch so einiges aus Deutschland mitbringen zu lassen: Hustentee für Melissa, eine Hose für Nele und eine Tonne Sachen für mich – unter anderem meinem Impfpass…Ups.

Während für die meisten anderen nun wieder nach Hause gingen, um sich ums Mittagessen zu kümmern – der Gottesdienst hatte 2 ½ Stunden gedauert, was für die hiesigen Verhältnisse noch sehr human ist – wurde für mich gesorgt. Ich durfte zusammen mit dem Kinderchor, deren Betreuern und dem Pastor essen. Dabei lernte ich mal wieder sehr viele nette Leute kennen, unter anderem auch eine Frau namens Gema, die hervorragendes Englisch spricht und mir vielleicht demnächst mal beibringt, wie man Ugali kocht, und den Pastor, der direkt im Haus gegenüber wohnt. Für die Kinder war ich die Hauptattraktion des Essens – was schon einiges heißen will, denn neben dem obligatorischen Reis mit Bohnen gab es zur Feier des Tages auch noch Fleisch.

3: Jetzt komme ich zu der kompliziertesten Geschichte: Es geht um Pamela (Das wird übrigens nicht englisch ausgesprochen, sondern so, wie man es auf Deutsch lesen würde, wenn man den Namen nicht kennt, mit der Betonung auf dem „e“). Am letzten Dienstag hatte ich mich endlich mal aufgerafft, um am Strand ein bisschen Vokabeln zu lernen. Zumindest war das mein Vorwand, um rauszugehen – insgeheim hoffte ich schon auf eine neue Bekanntschaft. Nach einer Viertelstunde und immerhin einmaligen Durchgehen der Vokabelkarten ging mein Wunsch dann auch in Erfüllung. Eine junge Frau kam auf mich zu und sprach mit meinem Namen an. Ich war verwundert – normalerweise ist die erste Ansprache hier entweder „Rafiki“ oder „Mzungu“. Wie sich herausstellte, hieß die Frau Pamela (welch Überraschung) und war mit Fanny und Verena befreundet gewesen. Sie lud mich gleich in ihr Haus ein und da ich das ja inzwischen schon fast gewöhnt bin, folgte ich ihr, ohne zu zögern.

Wir gingen in einen Teil Matemas, den ich bisher noch gar nicht gesehen hatte (und das will schon einiges heißen, weil das hier echt nicht allzu groß ist). Dort gibt es vor allen Dingen Bananenbäume. Inmitten von denen haben sich ein paar Leute angesiedelt, die meisten in einfachen einstöckigen Häusern, wie sie auch überall sonst stehen. Nicht so Pamela. Sie lebt in einer Holzhütte mit Wellblechdach. Die Wände sind mit alten Kartons verstärkt und der Platz dort drinnen reicht grade mal für zwei Matratzen und einen kleinen Vorraum, in dem sich Geschirr und andere Kartons stapeln. Pamela war anscheinend sehr gut mit Fanny und Verena befreundet gewesen, denn die zeigte mir viele Fotos von und mit den beiden und auch ein Paket, dass Fanny schon aus Deutschland geschickt hatte. Die beiden sind auch der Grund dafür, dass Pamela meinen Namen kannte: Verena hatte ihr schon erzählt, dass eine neue Freiwillige kommen würde, die Carla heiße.

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Pamela und ich vor ihrer Hütte

So war eigentlich alles schön und gut: ich saß draußen vor der Hütte, aß Bohnen und Reis und beobachtete Pamelas drei Kinder beim Spielen und bekam von ihrer Bibi – also Großmutter – ein ganzen Bündel Bananen geschenkt. Allerdings wurde mir immer mehr und mehr klar, dass die Familie echt ziemlich arm dran ist: Die Behausung, die schmutzige Kleidung der Kinder – aber vor allem Pamelas explizite Hinweise auf ihre Situation. Sie spricht zwar nur Swahili (und Kinyakjusa, das ich erstaunlicherweise in den ersten Tagen hier auch noch nicht bis zur Vollständigkeit gelernt habe), aber dafür habe ich ziemlich viel verstanden: Ihre Großmutter hat ein Problem mit den Zähnen und es fehlt das Geld für die Behandlung. Ihr Handy hat eine kaputte Batterie und es fehlt das Geld für eine neue. Ich bekam nur Reis und Bohnen, weil das Geld für etwas anderes fehlt.

Sie war mal im Krankenhaus als Reinigungskraft beschäftigt, aber ist momentan arbeitslos. Deshalb fragte sie mich, ob sie nicht gegen Geld meine Wäsche waschen könnte. Als sie mich später noch zu mir nach Hause brachte und ich die einlud, dich noch mit mir hereinzukommen, musterte sie alles ganz genau und fragte mich ei einigen Dingen, ob och diese nicht zweimal hätte. Ich gab ihr ein Feuerzeug und versprach ihr, mich bei meinen Eltern nach einem neuen Handyakku zu erkundigen. Schließlich kam der Augenblick vor dem ich mich gefürchtet hatte und auf den ich trotzdem nicht vorbereitet war: Die erzählte mir, dass sie am nächsten Tag das Geld für das Essen der Kinder in der Schule bezahlen müsste, sie aber keins hätte. Ich solle ihr helfen. So saßen wir nebeneinander auf meiner Couch und ich versuchte, die richtigen Worte zu finden, wohlgemerkt auf Swahili. Am Ende habe ich ihr etwas gegeben (so etwa 2,50€ in Schilling) und versucht, ihr klar zu machen, dass das aber das einzige Mal sein würde, eine Ausnahme sozusagen. Danach habe ich mich echt blöde gefühlt. Beim ersten Treffen gleich mit einer Ausnahme anzufangen, ist natürlich ganz schlau. Außerdem hatte ich mir eigentlich vorgenommen, während des gesamten Jahres gar kein Geld zu verschenken. Hat ja schon mal super funktioniert.

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Beim Früchteessen (und auch sonst immer) die Eleganz in Person

Auf der anderen Seite fand ich es echt nett, das sie mich einfach so vom Fleck weg in ihr Haus mitgekommen hatte und sich so viel Mühe mit mir gab. Sie ist echt nett. Ich habe mich also am nächsten Tag noch einmal mit ihr getroffen. Wieder war es wirklich lustig. Sie stellte mit ihre Nachbarn vor, zeigte mit einen zweiten, kleineren Markt und gab mir zwei Sorten Früchte zu probieren, von denen ich de eine nur bei der Versteigerung an der Kirche und die andere noch gar nicht gesehen, geschweige denn also gekostet hatte. Beide waren echt süß und lecker – Ich freue mich schon sehr auf den Dezember, dann kommt nämlich erst die richtige Früchtesaison auf uns zu… unter anderem auch mit Mangos! Aber auch bei diesem Treffen betonte Pamela ständig, dass es ihr am allernötigsten mangele. Diesmal überhörte ich die Bemerkungen allerdings einfach und fragte sie stattdessen, ob sie nicht Lust habe, mich ein bisschen das Kochen auf tansanische Art zu lehren. Sie hatte Lust. Also verabredeten wir und ein weiteres Mal für den nächsten Tag nach meiner Arbeit. Wir haben wirklich das allertypischte gekocht, was nur geben kann. Dreimal dürft ihr raten… Allerdings hat es sich trotzdem gelohnt, mal beim Reis- und Bohnenkochen zuzugucken; Das läuft hier nämlich schon ein bisschen anders als in Deutschland, was daran liegen könnte, dass die meisten da über einen Elektroherd verfügen. Hier bin ich mit meinem Gasherd schon reich beschenkt, aber wenn man mit dem Bohnen kocht, ist die Gasflasche danach auch leer – viel Spaß beim Heranschleppen der neuen! Man kocht die stattdessen auf dem Kohlekocher, also einer Art kleinem Grill, auf den man statt einem Rost dann halt einen Topf legt. Ich bin sehr froh, dass mir nochmal gezeigt wurde, wie man die Holzkohle denn überhaupt anbekommt – ohne Grillanzünder!

Als das Feuer dann brannte, hat es auch nur noch drei Stunden gedauert, bis die Bohnen fertig waren. In der Zeit habe ich mich noch mehr mit Pamela unterhalten. Sie ist eigentlich wirklich sehr nett und hat es echt nicht einfach: Drei Kinder von zwei unterschiedlichen Vätern, die sie beide nicht geheiratet haben, keine Arbeit, keine Rücklagen und vom Staat bekommt sie natürlich auch kein Geld. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn sie mir damit nicht die ganze Zeit so unmissverständlich auf die Pelle rücken würde. Ich glaube, dadurch, dass ich weiß bin, nimmt sie automatisch an, dass ich im Geld schwimme. Das Schlimme ist: Vergleicht man sie mit mir, hat sie auch noch leider recht. Deshalb kann und möchte ich ihr aber nicht ständig Geld oder Geschenke geben – grade, weil es hier auch noch andere gibt, die ich dann ebenso behandeln müsste. Ich bin mir eben nicht ganz sicher, was in ihr überwiegt: Ob sie sich wirklich für mich interessiert oder ausschließlich für mein Geld. Naja, ich habe mir vorgenommen, das weiter zu beobachten und ihr vorläufig erstmal nichts mehr zu geben und mich auch mal mit anderen Leuten zu treffen.

Schließlich gibt es hier noch gefühlt tausend weitere Personen (also in etwa die gesamte Dorfbevölkerung), die mich schon zu sich nach Hause eingeladen haben. Ich habe tatsächlich schon die ersten terminbedingten Schwierigkeiten, alles unter einen Hut zu kriegen: Für Sonntag bin ich schon zweimal zum Abendessen eingeladen worden. Bleibt nur noch zu hoffen, dass mal wieder das tansanische Zeitgefühl zuschlägt und ich den einem Termin ein bisschen schieben kann – besser so, als wenn ich die ganze Zeit alleine in meinem Häuschen sitzen würde!

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Einmal hatte ich doch tatsächlich auch schon schlechtes Wetter! Dann sieht es hier so aus.

 

So jetzt habe ich echt ganz schön viel geschrieben. Respekt an jeden, des hier unten angekommen ist. Ich könnte noch viel mehr erzählen, über die Arbeit, über neue Bekanntschaften, über mein Haus… Jetzt konzentriere ich mich aber erstmal darauf, diesen Roman hier nochmal durchzulesen und ein bisschen Struktur reinzubringen. Hoffen wir mal, dass ihr was davon merken könnt!

Also: Liebe Grüße aus dem Paradies!

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Die rennen hier wirklich überall rum. Un ein männlicher Artgenosse hat es sich anscheinend  in de Kopf gesetzt, mich jeden morgen um 5 zu wecken. Schönen Dank auch!

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. Gisela Sauter-Ackermann sagt:

    Toll, dass es Dir so gut geht.

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  2. Danke für den tollen Bericht! Wünsche weiter so gute Begenungen und Erlebnisse! Christoph

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  3. Dorothea Spielmann-Meyns sagt:

    Freue mich sehr, auf diese Weise an Deinem aufregenden Leben teilzuhaben! Du kannst herrlich erzählen!! Deine Patentante

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  4. Simone frohwein sagt:

    Liebe Carla, dein Reisebericht ist so spannend und wunderbar zu lesen – ich “ verfolge “ deinen Weg wöchentlich und habe das Gefühl , du hast eine glückliche , aufregende Zeit ! Weiter so – pass auf dich auf ! Mit ganz herzlichen Grüßen simone

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  5. Marco Fritsch sagt:

    Hallo Carla,
    mit Begeisterung folge ich deinem Blog über Matema. Momentan bin ich dabei meinen Aufenthalt dort zu planen, August bis Oktober soll es sein 🙂
    Eine kleine Frage habe ich an dich: Da ich nicht über das Berliner Missionswerk dort hingehen werde, wollte ich dich fragen ob du vielleicht ein paar Info’s bzgl. günstiger Unterkünfte dort heißt (auch wenn du die Thematik offensichtlich nicht hattest 😉 )
    Liebe Grüße aus Berlin!
    Marco

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